code black – Der schwärzeste Tag…

11.07.2016. Kurz nach dem Mittag klingelte das Telefon. Ich sah auf das Display und las den Namen meiner Frauenärztin und dachte „oh, na wie nett, rufen sie mich an, haben das Ergebnis also doch noch heute bekommen“. Und dachte mir tatsächlich immer noch nix schlimmes dabei. Bis ich ran ging…
Am Telefon war meine FÄ persönlich. Sie sprach ganz langsam, andächtig, und schon als sie sagte „Hallo Frau L., hier ist Frau Dr. Sch.“, wurde mein Gehör schon wie Watte und ich setzte mich auf die Couch… Es ist dieser Ton, den man von keinem Arzt je hören will. Sie hätte das Ergebnis, es sähe nicht gut aus. Wir sollten bitte am gleichen Abend in die Praxis kommen, sie würde es gerne mit uns persönlich besprechen. Ich versuchte verzweifelt noch, mich, vor dem Abgrund stehen sehend, zu retten und erwiderte „oh, das klingt ja nicht gut, also bösartig“ – in dem Moment in dieser Hoffnung, sie würde sagen „ne, ach so schlimm nicht Frau L., keine Sorge“, aber diese so ersehnte Beschwichtigung blieb einfach aus…

Wir vereinbarten einen Termin, ich nahm alles nur noch wie in Zeitlupe wahr, taumelte zurück ins Arbeitszimmer – ich war beim Rangehen ins Wohnzimmer gegangen – sah meinen Mann an und weinte los. Er fing auch sofort an und Romy, die ihren ersten Tag Kindergarten-Ferien genoss, saß an ihrem Tischchen und guckte uns fragend an. Ich riss mich also schnell wieder zusammen und umschrieb meinem Mann alles nur, damit sie nicht noch mehr mitbekäme.
Dann setzte ich mich hin, aber nach kurzer Zeit überkam mich große Übelkeit und ich musste würgen. Ich huschte schnell ins Badezimmer und klappte den Klodeckel hoch, mein Herz raste, ich würgte. Meine Emetophobie, die Angst vor dem Erbrechen, hatte mich seit 2001 kotzfrei gehalten. Und nun kam der Krebs und ich muss mich übergeben? Nein! Das lässt du nicht zu! Ich versuchte ruhig zu atmen, „komm schon, beruhige dich, versuch klar zu denken, atme durch die Nase, alles gut“, ich beruhigte mich langsam, eine große Übelkeit blieb zurück, aber das Würgegefühl nicht mehr. Ich weiß nicht, wie lange ich im Bad stand, mich im Spiegel ansah, aber doch irgendwie durch mich durch guckte. Gespuckt habe ich jedenfalls bis heute nicht.
Ich taumelte irgendwann aus dem Bad und legte mich ins Schlafzimmer. Kaum lag ich, bekam ich, natürlich wie all die Wochen zuvor schon, Sodbrennen. Schlecht war mir so extrem, aber dieses „schlechte Nachrichten“-schlecht, kein „ich muss spucken“-schlecht mehr.
An den restlichen Tag mag ich mich kaum mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass mein Sohn in meinem Bauch total Randale gemacht hat, er hatte dauernd Schluckauf, streckte sich, stieß die Füße in meinen Magen, das Köpfchen knallte an den Muttermund. Klar, mein Puls und Blutdruck waren spürbar am Maximum und er schien mir deutlich zeigen zu wollen, dass er da raus will.

Ich beschloss an diesem Nachmittag, den Termin abends nicht wahrnehmen zu können. Ich merkte, würde ich mich aus diesem Bett, dieser Wohnung bewegen, ich würde heute keine Details mehr verkraften. Würde in oder vor die Praxis spucken, ins Auto oder würde ohnmächtig. Ich wusste genug und weitere Erklärungen hätten mir mehr geschadet als genutzt.

Auch wenn es meinem Mann natürlich ebenso sehr schlecht ging, er wollte Gewissheit, mehr Informationen, und er fuhr nach Absprache mit der Praxis am Abend alleine hin. Dafür zolle ich ihm jeden Respekt. Ich war nicht stark genug.

Es ging mir weiterhin sehr schlecht, noch schlechter als er weg war, und das nahm zu, als ich hörte wie er zurück kam. Der Verstand ist manchmal schon komisch, ging mir trotzdem noch durch den Kopf, als ich hörte wie er die Tür aufschloss: „Nun sagt er dir, dass es halb so wild ist wie du angenommen hast,die FÄ hat das nur dramatisiert, es könnte mal bösartig werden, ist es aber nicht“ oder so.

Er kam ins Schlafzimmer, Romy saß neben mir mit ihrem Playmobil spielend im Bett, und legte sich ans Fußende. Ich sah ihn an und entdeckte in dem Moment seine rötlichen Augen. Die habe ich bisher nicht oft gesehen, beim letzten Mal nach meiner Fehlgeburt 2011. Er hatte also geweint. Und der Traum in meinem Hirn, es sei alles nicht so schlimm, platzte und eine Welt brach für mich zusammen.

Am gleichen Abend noch rief die FÄ erneut an, sie habe mit dem Krankenhaus, in dem ich übermorgen, also den 13.07., den KS Termin hätte, telefoniert, dort wüssten alle Bescheid. Die Dienst habende Ärztin hätte gemeint, wir könnten auch theoretisch sofort kommen und man nähme den KS vor, wann immer ich möchte.
Ich lehnte die Vorstellung gedanklich sofort ab. Ihn heute holen? Nein! Ich hatte morgen früh schon den Termin zu den Voruntersuchungen und wollte diesen schon absagen, verschieben. Nein, ich will das alles nicht mehr, keine Geburt, kein Baby, keinen Krebs, ich will mein Leben wieder, haltet das Karussell in meinem Kopf an! Ich wollte am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und nie wieder aufstehen. Ich überlegte auch lange Zeit, den KS-Termin zu verschieben. Ich fühlte mich absolut nicht in der Lage aufzustehen, zu agieren, hielt mich psychisch und physisch für unfähig, das durchzuhalten. Eine OP. Krankenhaus. Bettnachbarin. Getrennt von Romy und meinem Mann. Krebs. KREBS! Nein. Macht ohne mich weiter.

Die Nacht vom 11.07. auf den 12.07. war sehr schlimm, wohl die schlimmste meines bisherigen Lebens. Mein Sohn machte weiter Randale, streckte sich, machte sich lang, drückte, trat, schlug, und je mehr Stunden in der Nacht vergingen und ich so in meinem Thron, gebaut vor vielen Wochen aus Stillkissen und diversen Kopfkissen, um das Sodbrennen unter Kontrolle zu haben, so sitzend nachdachte, desto mehr festigte ich meinen Entschluss: Mein Sohn soll doch schon heute, am 12.07. auf die Welt kommen. Ich möchte ihn nicht weiter stressen, er zeigte mir auf seine Weise, dass er raus möchte, er kämpfe, strampelte, merkte, dass Mami Stress hat, Angst, Wut, Trauer… Ich nahm all meinen Mut zusammen, sagte mir, dass auch verschieben nichts mehr an der Diagnose ändern würde, und redete mir selbst Stärke und Mut zu. Ich war seit dem Mittagessen am vorigen Tag nüchtern, klar, der Hunger war weg. Einen Schluck getrunken hatte ich kurz vor Mitternacht. Ab da verbiss ich mich in den Gedanken mit dem Kaiserschnitt. Die Klinik hatte es ja auch angeboten. Und so nahm der schlimmste Tag meines Lebens endlich ein jähes Ende und es sollte der zweite schönste Tag meines Lebens folgen, der erste war Romys Geburt.

Autor:

Monica L., alias Chemonica, geboren und wohnend seit 30.11.1982 in Braunschweig. Glücklich verliebt seit 2001 und verheiratet seit 2010 mit Jörn (lordlaui), zudem fast vor Stolz platzende Mami von Romy (*19.09.2012) und Mick (*12.07.2016).

2 Kommentare zu „code black – Der schwärzeste Tag…

  1. Hey Moni.

    Ich möchte einfach nur mal Danke sagen das Du das mit mir und alle die es Interessiert teilst.

    Mir stand bisher dazu nicht nur einmal das Wasser in den Augen.

    Ich bin selten oder fast gar nie einer so tollen, starken Frau begegnet.

    Und alleine deswegen muss und werde ich Deinen Blog lesen bist Du 100 bist.

    Solange musst Du nun weiterschreiben.

    Liebe Grüße Sandra T.

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Sandra,

      ach, wie lieb von dir, da bekomme ich richtige Gänsehaut 🙂 Viele Leute sagen mir, ich sei so stark, aber ich blicke ehrlich gesagt – ohne fishing for compliments – nicht durch, was mich denn so stark machen soll? Ich tue doch nichts anderes als andere? Ich versuche dem dämlichen K. in seinen kleinen, intriganten, miesen Hintern zu treten, mir mein Leben in den besten Jahren so madig machen zu wollen, was bildet der sich ein? Aber gut, das Tänzchen soll er haben, nech? 😉
      Uff, bis 100? Reicht dir eventuell auch bis 98? Ich denke, der Blog wird dann auch etwas eintönig… „heute saß meine Tena Lady nicht ganz korrekt“ oder „Zu Hilf, mein Kukident ist alle“. Nein, ich denke irgendwann sollte alles sein Ende finden – blogtechnisch gesehen natürlich 😀
      Ich dank dir für deine Worte 🙂

      Like

Hinterlasse einen Kommentar